Leseprobe



Die Erde wartet

Der Himmel ist wie Glas - so fein und schimmernd.
Die gelben Pfützen hat der Wind geleckt.
Der Traktorist gibt Gas. Die Ackerfurche
quillt schnurgerade. Eine Lerche weckt
die anderen mit ihrem hellen Singen.
Die Erde wartet, für die Saat bereit.
Motoren tackern schon in aller Frühe.
Das Herz hat Flügel, und sie tragen weit.

(1955)




Lori Ludwig, Sommerliedchen
Sommerliedchen

Im Sommerwind die Linden,
sie flüstern in der Nacht:
"Was mag er an ihr finden?
Er hat sie angelacht."

Die Wipfelschwingen heben
und senken sich erregt:
"Er hat bestimmt soeben
den Arm um sie gelegt."

Die Lindenschwestern staunen.
Der Wind, er wiegt sie sacht:
Die Blätterzungen raunen:
"Er hat sie heimgebracht."

(1961)




Gerettet
(miterlebt im Jahre 1950)

Am Dorfrand, etwas abseits, liegt ein Haus.
Es duckt sich an den Wiesenhang und träumt
Die Grille zirpt im Gras, die Sonne sticht,
und Bienen summen emsig im Gesträuch.
Das Haus liegt still und ausgestorben da.
Der Bauer und die Bäuerin sind weit,
sie bringen heut den Erntekranz mit heim.
Im Gitterbettchen schlummert fest ihr Kind.
Die Funken, die ein Aschehaufen birgt,
entfachen jäh, - ins Stroh geweht - die Glut.
Wie eine Zunge leckt voll Gier der Brand.
Noch schläft das Kind und ahnt nicht, was ihm droht.
Kein Nachbar kommt vorbei, der Hilfe bringt,
kein Regen fällt und dämmt die Flammen ein.
Das Kind greift mit dem Händchen in die Luft,
vom Knistern und vom Feuerschein geweckt.
Wasja Dragun, Soldat der Sowjetmacht,
lehnt an der Haustür seiner Unterkunft.
Er blickt hinüber nach dem Wiesenhang ...
Wasjas Gedanken sind bei Frau und Kind,
die auf ihn warten fern im Heimatdorf,
das aus des Krieges Asche neu erstand.
Dann plötzlich stockt sein Herzschlag. Wasjas Schrei
wird zum Signal: Kommt alle, rettet, helft!
Ein Rauchpilz wölbt sich überm Schindeldach.
Des Kindes Weinen klingt schon halberstickt.
Wasja schwingt sich durchs Feuer, nimmt das Kind
in seine Arme. Hilfreich strecken sich
der Kameraden Hände nach ihm aus.
Wenn sie nicht wären, würden Hab und Gut
vernichtet sein, bevor die Glocke ruft,
vom Brand gefressen: Hausrat, Wäsche, Vieh.

Ein Balken trifft Wasja Dragun am Arm,
als er die Schafe aus dem Stalle zerrt.
Er stürzt. Die Flammen überspülen ihn
mit sengend heißen Wogen. Bilder wehn
an ihm vorüber, werden blutigrot.
Er bäumt sich auf mit seiner letzten Kraft.
Der Tod muß weichen, als die Freunde nahn.
Auf Zehenspitzen tritt die Bäuerin
zu dem verletzten Wasja, und sie weint.
Das Kind auf ihren Armen aber lacht.
Die winzig kleinen Finger spielen mit
dem Licht des Tages und mit Wasjas Haar.
Der Bauer steht dahinter. Rauh und karg
vor Rührung dankt er Wasja. Dieser nickt.
"Schon gut", sagt er und streichelt mit der Hand,
die unversehrt geblieben ist, das Kind.

(1961)






Lori Ludwig, Gerettet

Quellen: Die Neuherausgabe der Gedichte von Lori Ludwig erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Familie Lori Ludwigs. Bildnachweis (v.o.n.u.): Meyer-Dennewitz, Gabriele: Die Zukunft Deutschlands ist der Sozialismus, Triptychon, Mittelteil, Holzschnitt. In: Ich schreibe. Zeitschrift für schreibende Arbeiter- und Genossenschaftsbauern. 8(1967), S. 15; Unbekannter Künstler (H.B.) und Titel. In: Junge Kunst. Organ des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend. 4(1960)4, S. 71. Die heutigigen Rechte waren trotz intensiver Recherche nicht zu ermitteln. Ich bitte darum, bestehende Ansprüche anzumelden.